Ich nenne es das Stullenphänomen. Es taucht auf, wenn eine Wandergruppe eine gewisse Größe erreicht hat. Naturgemäß zieht sich die Gruppe beim Laufen auseinander, da es immer Leute gibt, die gerne zügig vorneweg laufen, und andere, die lieber die Nachhut bilden und vielleicht etwas langsamer sind. Will man die Gruppe beisammen halten, sind also gelegentliche Stopps notwendig. Am besten an kritischen Kreuzungen oder sonstigen Stellen, wo Nachzügler sich im Weg vertun könnten, wenn sie die Gruppe aus den Augen verloren haben.

Netwalker bei Wiesbaden © Andreas Haarmann 2012
Netwalker bei Wiesbaden © Martin Joppich 2012

Und was passiert? Sobald man angehalten hat, nehmen die ersten ihre Rucksäcke runter und holen die Butterstullen raus. Mitten auf dem Weg, im Stehen. Nicht nur die Trinkflasche oder einen Schokoriegel, nein, belegte Brote und Tupperdosen mit Gemüseschnitzen oder Nudelsalat vom Vorabend. Von Pause war nie die Rede, und aus Sicht des Wanderführers ist eigentlich klar, dass man nur auf die Letzten wartet. Natürlich muss auch den Langsamen dann noch eine Verschnaufpause gegönnt werden – aber sooo lange dauert das dann auch nicht. Eine Vesperpause braucht doch mehr Zeit und war hier nicht eingeplant, zumal man solche Stopps ja öfters einlegen muss. Den Butterstullen ist das allerdings egal.

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Ich habe mir den Kopf zerbrochen, woran das liegen kann. Mögliche Erklärungen:

  • Der schnelle Spurt macht schneller Hunger …
  • Die Schnelleren belohnen sich für ihre Leistung mit ein, zwei leckeren Bissen …
  • Sie wollen sich beim Warten nicht langweilen …
  • Oder die Gruppe weiß nicht, ob und wann „richtige“ Pause gemacht wird.

Letzteres ist eine Hausaufgabe des Wanderführers. Man sollte vor dem Losgehen ansagen, wann und wo Pausen eingeplant sind. Ich habe das auch schon öfters vergessen – Asche über mein Haupt. Aber lustigerweise passiert dieses Stullenphänomen nicht bei kleineren Gruppen! Sondern erst, wenn es über 20 sind. Dafür eine Erklärung zu finden fällt schwerer.

Ich habe oft den Eindruck, dass eine Wandergruppe über 20 keine homogene Gruppe mehr ist, sondern in mehrere Teilgruppen zerfällt, die sich relativ autark verhalten. Bei einer kleineren Gruppe orientiert man sich stärker aneinander und verhält sich ähnlicher.

Sollte diese Erklärung zutreffen, dann markiert die Stullen-Stehpause einen demonstrativen Unterschied zwischen den Flotten und den Nachzüglern: Die einen müssen hinterher hecheln, während die anderen – gaaaanz entspannt – sogar schon ein Brötchen vertilgen konnten.

Das Stullenphänomen: Beobachtungen zur Eigendynamik von Wandergruppen

Ein Gedanke zu „Das Stullenphänomen: Beobachtungen zur Eigendynamik von Wandergruppen

  • Hallo Sabine,
    interessante Geschichte, aber da ist in der Tat etwas dran. Dass dieses Phänomen bei kleineren Gruppen nicht auftritt, hat bestimmt damit zu tun, dass die Gruppe nicht so weit auseinander fällt. Wenn die Gruppe dann aber mal weiterer auseinander fällt, und eine Wartepause eingelegt wird, wird die Chance sich zu stärken gleich ergriffen. Warum? Ich denke, dass die Information fehlt, wie weit bzw. lang es noch bis zur eigentlichen Pause ist. Wenn also der Wanderführer klar kommuniziert, dass es sich nur um eine kleine Wartepause handelt und der eigentliche Zwischenstopp in ca. 20 Minuten erreicht wird, kann dem Phänomän eventuell entgegengewirkt werden.
    Bisher habe ich aber erst bei drei Wanderungen in der Größe teilgenommen, habe also nicht wirklich einen Erfahrungswert, nur eine Vermutung.
    Sonnige Grüße,
    Daniela

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